Die Umgestaltung des Oberbilker Marktes – eine verpasste Chance

Von Dieter Sawalies (seit 1999 Mitglied der Bezirksvertretung 3)

Der Oberbilker Markt hatte nie den Charakter eines ‚richtigen‘ Platzes, eher die Anmutung eines Verkehrsknotenpunktes. Es ist bezeichnend, dass er in den Adressbüchern der Stadt erst 1955 genannt wird. Diese Vorgeschichte der Benennung verweist bereits auf die Problematik des Oberbilker Marktes als städtischer Platz. Unstrittig ist der Oberbilker Markt aber ein geschichtsträchtiger Ort und er gilt zu Recht auch als Mittelpunkt des Stadtviertels.

Nach den massiven Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erhielt der Oberbilker Markt erst in den 1980er Jahren mit dem Neubau der Zweigstelle der Stadtsparkasse an der Westseite eine moderneres Gesicht, 1988 wurde auch der Platz selbst neu gestaltet, die Geschichte des Platzes spielte dabei allerdings keine Rolle. Wenig später entstand auf der gegenüberliegenden Seite der Kölner Straße das „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI) als Teil eines ambitionierten, aber am Ende schließlich nicht realisierten Projekts für ein „Internationales Handelszentrum“ (IHZ). Dadurch und durch den Umbau der Werdender Straße sowie dem Neubau des Land- und Amtsgerichtes des Landes NRW im Jahr 2009 erlangte der gesamte Stadtteil eine neue Bedeutung: „Veranlasst durch diese Entwicklungen des Stadtteils und dem Wunsch nach Attraktivierung des Wochenmarktes, wurde die Umgestaltung des Oberbilker Marktes als Förderprojekt des Landes angestoßen. Insgesamt wurden 6.000 qm Oberfläche neu gestaltet.“ (Landeshauptstadt Düsseldorf 2021).

Mit dem Bau des HWI und der „Öffnung“ des Oberbilker Marktes zum Vorplatz an der Ecke Kölner und Werdener Straße war nun aber ein städtebauliches Problem entstanden, das bis heute nicht befriedigend gelöst werden konnte: Es kam zu einer vorher nicht existierenden Zweiteilung des Oberbilker Marktes, die auch mit den Plänen von 2009 nicht überwunden werden konnte. Der Vorplatz vor dem ursprünglich als sowjetisches „Haus der Wirtschaft und Industrie“ (HWI) konzipierten Gebäude wird inzwischen vielmehr als ein ‚anderer Platz‘ empfunden, den es offiziell als Platz aber gar nicht gibt; in den Medien wird er wegen des dort errichteten Puschkin-Denkmals oft auch als Puschkin-Platz bezeichnet. Allerdings würde es keine Bezirksvertretung wagen, diesen ‚anderen Platz‘ auch offiziell so zu benennen, da die historische Einheit des Oberbilker Marktes gewahrt bleiben soll. Gleichwohl hätte es der Vorplatz zum HWI eher verdient, Platz genannt zu werden, denn er hat, was der Oberbilker Markt vermissen lässt: eine Säule im Zentrum, eine bepflanzte Anlage und eine Sichtachse in einen Park (City Park). Was den berühmten russischen Dichter Alexander Puschkin mit Oberbilk verbindet und was seine Ehrung mit einem Denkmal zur Identität des Quartieres beitragen soll, erschließt sich allerdings nicht ohne weiteres. Dabei ist es durchaus eine interessante Geschichte, warum sein Denkmal auf dem Platz vor dem HWI steht. Es ist eine Geschichte, die mit der Entwicklung Oberbilks nach dem Ende des Industriezeitalters zu tun hat – sowie mit hochfliegenden und am Ende gescheiterten Plänen, die es in den 1990er Jahren gegeben hat.

Bis zur Umgestaltung der Industriebrache zwischen Bahnlinie, Kölner und Werdener Straße im Zuge der Planungen für das „Internationale Handelszentrum“ befand sich entlang der Kölner Straße eine den Platz begrenzende Häuserzeile. Diese Gebäude wurden bis zu ihrem Abbruch von diversen Kulturinitiativen genutzt. Darunter war auch das „Café Rosa Mond“, das vielen Menschen noch sehr lebendig als identitätsstiftender Ort der lesbisch-schwulen Community in Erinnerung sein dürfte. Etwas vergleichbar Neues ist nicht mehr entstanden.

In der Bevölkerung waren die Wünsche nach einem erneuten Umbau und einer Aufwertung des Platzes nie verstummt. Nach einer längeren Planungs- und Realisierungsphase wurde schließlich 2015 der jüngste Umbau des Oberbilker Marktes abgeschlossen. Allerdings sucht man auch jetzt vergebens nach städtebaulichen Ankerpunkten, die es den hier lebenden, aus über 110 Nationen stammenden Menschen ermöglichen könnten, Vertrautheit mit dem Ort und eine Identifikation mit dem Stadtviertel zu entwickeln. Hier lädt nur die „grüne Ecke“ an der Bogenstraße unter den mächtigen Platanen vor der Gaststätte „Uerige am Markt“ als Aufenthalts- und Kommunikationsort ein. Der große Rest ist Freifläche, leerer Raum und verkehrsreiche Achse, die den Platz zerschneidet, der dennoch als historische Mitte und als Herzstück Oberbilks verstanden wird. In der Ortsbezeichnung des Oberbilker Marktes fehlt nicht nur das Wort „Platz“, sondern eben auch das, was einen innerstädtischen Platz als öffentlichen Raum mit hoher Aufenthaltsqualität ausmacht: ein symbolisches Zentrum zu sein, das die Begegnung von Menschen ermöglicht, das die Lebensqualität für die Menschen, die hier wohnen und arbeiten sowie die Atmosphäre des sozialen Miteinander positiv beeinflusst.

Durch einen Beschluss der Bezirksvertretung 3 im Herbst 2008 wurden die Bürger in den Planungsprozess für die erneute Umgestaltung eingebunden Es gab auch eine Jury, die sich aus Vertreter*innen der Verwaltung und Bezirkspolitikern zusammensetzte. In den Augen vieler Oberbilker wurde aber trotz dieser Bemühungen eine historische Chance verpasst! Statt den neugewonnene Raum einer städtebaulichen Gesamtgestaltung zuzuführen, die auch die Geschichte des Stadtteils widerspiegelt und zu einer Visitenkarte des multikulturellen Oberbilks hätte werden können, zu einem Raum, in dem sich Identitätsstiftendes wiederfindet und Vergangenheit, Gegenwart und die Zukunft eine Einheit bilden, wurde alles „abgeräumt“, was als „störend“ angesehen wurde: vom Sitzrondell mit schattenspendendem Ahorn-Baum im Hochbeet, das als Hinweis auf die Industriegeschichte wie ein riesiges steinernes Zahnrad gestaltet war, bis zu den historischen Gaslaternen, die später als Industriedenkmal gesamtstädtisch zum größten Teil unter Schutz gestellt wurden. Und auch der symbolträchtige Luftschacht über dem Luftschutzbunker unter dem Platz musste weichen: Es war genau der Schacht, an dem eine Heeresstreife unter dem Kommando des NS-Gauleiters noch kurz vor Kriegsende am 15. April 1945 den 72-jährige jüdischen Oberbilker Moritz Sommer aufgehängt hatte. Auch der Abriss des kioskähnlichen Milchbüdchens (das im Milchbüdchen von Jakob Broich einen historischen Vorgänger hatte) und das als typisches Düsseldorfer Büdchen für viele ein wichtiges identitätsstiftendes Element im öffentlichen Raum ist, konnte nicht verhindert werden. Die Planer machten vor nichts Halt, was den langjährigen Bewohner*innen Oberbilks lieb und heilig war. In den Plänen für die Neugestaltung gab es, trotz vieler Vorschläge aus der Bürgerschaft und auch aus der Politik, nicht einmal Platz für ein Boden-„Denk-mal!“: etwa in Gestalt eines Stücks Gleisbett der früheren Eisenbahnlinie mit Steinquadern aus 110 Ländern mit der Inschrift „Willkommen“. Es gab auch keinen Platz für eine unübersehbare Skulptur, beispielsweise von einem renommierten Künstler wie Bert Gerresheim („Die alten Themen ins Heute holen“, Rheinische Post vom 12.10. 2020), die die Geschichte des Platzes in der Mitte Oberbilks hätte erzählen können: von den schweren Barrikadenkämpfen 1919 am Oberbilker Markt und der näheren Umgebung, dem „Spartakistenaufstand“ mit 50 Toten, bis zu einer Erinnerungstafel für den zeitweiligen Arbeiterräteführer Karl Schmittchen, der für kurze Zeit zum Oberbürgermeister der Stadt wurde.
Auch für Hinweise auf den Flugzeugabsturz am 13. Oktober 1941 auf den Häuserblock an der Kruppstraße/Ecke Oberbilker Markt, der vielen Bewohnern das Leben kostete, oder die Bombardierungen während des Kriegs, durch die 1943 die nahegelegene Christuskirche und die Häuser bis zum Oberbilker Markt in Trümmer gelegt wurden, war kein Platz. Nur das Mobiliar des Spielplatzes, das die Formen einer Eisenbahn annehmen durfte, lässt erahnen, dass Wünsche der Bürger gehört wurden. Auf einem Kinderspielplatz denkt man aber dann vielleicht doch eher an „Jim Knopf und die wilde 13“ als an die Eisenbahngeschichte des Stadtteils. ist eben nicht die Stadtmitte, nicht die Carlstadt, wo sich Architekten und Stadtplaner austoben wollen und dürfen. Von dem Versprechen des damaligen Oberbürgermeisters Thomas Geisel, auch die dezentral gelegenen Stadtteile zu stärken, blieb nichts, was über die Kompetenzen des Amtes für Verkehrsmanagement hinausgegangen wäre. Es gab für den Umbau des Platzes auch kein Konzept zur Einbeziehung des 1941 erbauten großen unterirdischen Luftschutzbunkers. Daraus hätte vielleicht ein neues Zentrum der Subkultur werden können, wie der Hochbunker Aachener Straße oder die alte Toilettenanlage am „Adersplätzchen“. Und es gab keine wirklichen Bemühungen der Ämter, den Wunsch der Oberbilker und der Baumschutzgruppe Düsseldorf zu entsprechen, auf dem Oberbilker Markt auch einen sogenannten „Lebenden Weihnachtsbaum“ zu pflanzen, wie auf dem Fürstenplatz, dem Adolph-von-Vagedes Platz oder am Zoopark, Nähe Brehmplatz. Das hätte Geld gespart, wäre nachhaltig gewesen und hätte der Identifikation der Bürger mit ihrem Platz dienen können.

Aber die Kölner Straße ist schließlich nicht die Königsallee, die man für Touristen herausputzen will. Und so musste im ehemaligen Arbeiterstadtteil Oberbilk 2009 zur Neugestaltung alles weg, was nicht zum neuen Justizgebäude und zum architektonisch anspruchsvoll gestalteten „Haus der Wirtschaft“ sowie dem Klientel, das man sich von den neuen Funktionen in diesen Gebäuden erhoffte, zu passen schien. Viele Namensgebungen für Straßen waren unglückliche Entscheidungen. Machen Bezüge zu historischen Straßen- und Eisenbahnverbindungen noch Sinn für die Namensgebung (z.B. Kölner Straße, Mindener Straße), fehlt bei der Straßenbenennung mit den Namen von Partnerstädten Düsseldorfs (z.B. Warschauer Straße, Haifa Straße, Moskauer Straße) ein Bezug zum Stadtteil. Man gewinnt den Eindruck, als hätte Oberbilk nichts Eigenes, nichts historisch Bedeutendes zu bieten oder man schämte sich vielleicht sogar seiner Geschichte als „rotes“ Arbeiterviertel und möchte sie vergessen machen.

Es sollte ein Ziel von Erinnerungspolitik sein, die Geschichte des Stadtteils am Oberbilker Markt sichtbar zur Geltung zu bringen. Dabei könnte man dann auch auf die bisher zu sehr vernachlässigte Rolle der Frauen eingehen, beispielsweise durch die Figur einer Farbrikarbeiterin auf einer Litfasssäule. Installationen dieser Art sind ein Markenzeichen des Künstlers Christoph Pöggeler und sind bereits an vielen Orten in der Stadt zu finden. Man könnte bei neuen Straßenbenennungen Frauen würdigen, die auch auf dem Oberbilker Markt für Frauenrechte, wie etwa das Frauenwahlrecht, eingetreten sind. Ein „Frauenrechteplatz“ auf dem Gelände der ehemaligen Paketpost (jetzt das „Grand Central“-Gelände, auf dem sich aus spekulativen Gründen derzeit nichts bewegt) wäre ein Pendant zur nahegelegenen Eintrachtstraße. Wünschenswert wäre auch eine „Gräfin Sophie von Hatzfeld-Straße“, die als frühe Feministin und Arbeiterführerin während der Düsseldorfer Revolution 1848/49 Beispielhaftes geleistet hat. Und wir sollten die vielen Frauen des Widerstands gegen die Nazi-Diktatur nicht vergessen, die in Oberbilk zu Hause waren und auch auf dem Oberbilker Markt Geschichte für das demokratische Deutschland geschrieben haben (Maria Wachter, Klara Schabrod, Cilly Helten und viele andere).

Der Oberbilker Markt teilt unter den Plätzen in den 50 Düsseldorfer Stadtteilen mit dem Schwanenmarkt die Besonderheit, offiziell nicht „Platz“ genannt zu werden. Beide verbindet zudem, dass sie im Zuge der Trassenführung der „Cöln-Mindener Eisenbahngesellschaft“ angelegt wurden, ihre Bedeutung als wichtige Märkte später aber auch wieder verloren. Und während der Schwanenmarkt in der wohlhabenden Carlstadt unweit der Königsallee in seiner Mitte ein Brunnendenkmal in einer gärtnerischen Anlage erhielt und später ein Denkmal für den größten Sohn der Stadt, dem Dichter der Liebe und der Revolution, Heinrich Heine, warten die Frauen und Männer der Arbeiterklasse und die Migrant*innen aus vielen Ländern der Erde im „roten Oberbilk“ weiterhin auf ihre Anerkennung durch die Stadtgesellschaft, auf die Würdigung und den Respekt gegenüber der Geschichte auch dieses ärmeren Teils der Stadt und ihrer „Arbeiter-Kö“, der Kölner Straße, und ihrem zentralen Freiraum, dem scheinbar geschichtslosen, aber tatsächlich sehr geschichtsträchtigen Oberbilker Markt.

Die Düsseldorfer Planungsderzentin Cornelia Zuschke hat in einer Veranstaltung der „Akademie der Immobilienwirtschaft“ geäußert, es gehe in Düsseldorf darum, gute Plätze zu kreieren, darum, eine Art „erweiterte Wohnung, ein Stück Heimat“ zu schaffen (Rheinische Post, 12.6. 2021). Mit dem Oberbilker Markt könnte die Stadtpolitik sofort mit der Umsetzung beginnen.

Quellen: Achten, Udo (1989): Düsseldorf zu Fuß. 17 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart. Hamburg; Kleinfeld, Hermann (1996): Düsseldorfs Straßen und ihre Benennung. Düsseldorf; Landeshauptstadt Düsseldorf: https://www.duesseldorf.de/verkehrsmanagement/verkehrsmanagement/raeume-und-plaetze/realisiert/oberbilker-markt.html, 18.1. 2021; Mauer, Benedikt (o.D.): Die Industrialisierung in Oberbilk; Oberbilk in der Zeit des Nationalsozialismus; Oberbilk in der Nachkriegszeit (unveröffentlichte Manuskripte).